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OLG Hamm: Assistenzärztin setzt ihre Persönlichkeitsrechte gegen Tochter einer Patientin durch; zur Frage der Einordnung von Beschwerdeschreiben an das Beschwerdemanagement einer Klink als haftungsprivilegierte Äußerungen (Az. I-6 U 53/19)

Unsere Mandantin (Klägerin) arbeitete als Assistenzärztin am Universitätsklinikum in Münster. Am späten Freitagnachmittag erschien die Beklagte zusammen mit ihrer Mutter sowie ihrem Vater im Universitätsklinikum Münster zu einem Anästhesievorgespräch wegen einer geplanten Aneurysmaoperation bei der Mutter. Die Mutter hatte sich kurze Zeit vorher bei einem Sturz einen dreifachen Schulterbruch zugezogen. Es war beim Eintreffen der Beklagten sowie ihrer Eltern im Universitätsklinikum Münster am späten Freitagnachmittag unklar, ob der dreifache Schulterbruch bei der Mutter vorrangig vor dem Aneurysma behandelt werden musste. Dieses Anästhesievorgespräch führte unsere Mandantin (Klägerin) mit der Beklagten und ihrer Familie.

Von der vorgenannten dreifachen Schulterfraktur hatte unsere Mandantin erstmalig in dem Moment erfahren, in dem die Beklagte und ihre Eltern am späten Freitagnachmittag zur Klägerin ins Besprechungszimmer kamen. Bislang hatte noch kein Arzt die Beklagte und ihre Mutter darüber informiert, dass sich auf Grund des dreifachen Schulterbruchs schwerwiegende medizinische Fragen – auch im Rahmen der Prämedikation – ergeben würden und die Vorbereitung einer geplanten Aneurysmaoperation am Gehirn deutlich aufwändiger werden würde, als normalerweise üblich. Zudem war unklar, ob die dreifache Schulterfraktur nicht vorrangig zu behandeln war. Diese Fragen besprach die Klägerin mit der Beklagten und ihren Eltern durchweg sachlich und lösungsorientiert.

Wegen der neuen medizinischen Situation bei der Patientin (Mutter der Beklagten), d. h. der kurz zuvor erfolgten dreifachen Schulterfraktur, musste zunächst eine Neubewertung des weiteren Vorgehens durch die verschiedenen fachärztlichen Spezialisten am Universitätsklinikum Münster erfolgen. Am späten Freitagnachmittag war dies – trotz erheblicher Bemühungen durch unsere Mandantin – nicht mehr möglich, zumal die Beklagte und die Patientin wesentliche Unterlagen (z. B. CT-Aufnahmen, die aktualisierte Medikamentenliste, Laborwerte des bisher behandelnden Klinikums, der unfallchirurgische Behandlungsplan) nicht dabeihatten. Eine Klärung der Situation konnte deshalb zwangsläufig erst Anfang der kommenden Woche erfolgen.

Über zwei Wochen später schickte die Beklagte ein Beschwerdeschreiben an verschiedene Stellen im Universitätsklinikum Münster. Dabei behauptet die Beklagte über die Klägerin unter anderem Folgendes:

„(Die Klägerin) war offensichtlich unkonzentriert und nicht in der Lage, die Medikation fehlerfrei zu notieren. Sie fragte mehrmals nach und wiederholte unsere Angaben 3 mal fehlerhaft.“

„Auf die Frage meiner Mutter, ob sie am Morgen des Operationstag ihre Medikamente noch nehmen oder aber aussetzen solle, entgegnete sie knapp, das wisse sie doch nicht, dass müsse doch meine Mutter selbst wissen. ???“

„Ich bemerkte, dass ich die Unterlagen aus diesem Grund bereits vorab zugeschickt hätte, um die unnötige Fahrerei angesichts des schmerzhaften 3-fachen Schulterbruchs (jeweils 1-stündige Fahrt) zu vermeiden. Ich bat sie freundlich, bitte bei den entscheidenden Ärzten nachzuhaken.

Sie erwiderte, das sei nicht ihr Job, zudem hätten die Kollegen bereits Wochenende, wie wir uns das denn vorstellen würden!“

Die vorgenannten Aussagen im Beschwerdeschreiben entsprachen nicht der Wahrheit. Unsere Mandantin erhob deshalb Klage gegen die Beklagte wegen Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts (üble Nachrede, Verleumdung, Rufschädigung). Sie forderte von der Beklagten unter anderem Unterlassung der Äußerung der vorgenannten Behauptungen, Schadensersatz und Aufwendungsersatz.

Nachdem das Landgericht Münster unserer Mandantin lediglich teilweise Recht gegeben hatte, legte unsere Mandantin auf unsere Empfehlung hin Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zum OLG Hamm ein. Aus rechtlicher Sicht stand die Frage im Raum, ob das Beschwerdeschreiben an das Beschwerdemanagement eines Universitätsklinikums eine sogenannte haftungsprivilegierte Äußerung darstellt (ähnlich wie z. B. eine Äußerung gegenüber der Polizei oder einem Gericht). Haftungsprivilegierte Äußerungen sind grundsätzlich rechtskonform und verstoßen nicht gegen das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der von der Äußerung betroffenen Person. Im vorliegenden Fall konnte die Frage der Haftungsprivilegierung der Äußerung allerdings dahinstehen, weil sich eine äußernde Person dann nicht auf eine Haftungsprivilegierung berufen kann, wenn die Unwahrheit der streitgegenständlichen Äußerung offensichtlich auf der Hand liegt (so auch die Hinweise des OLG Hamm in der mündlichen Verhandlung). In solchen Fällen überwiegt der Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Nach Hinweisen des OLG Hamm einigten sich beide Parteien nachfolgend in einem Prozessvergleich, der unserer Mandantin inhaltlich Recht gab. Die Beklagte verpflichtete sich im Prozessvergleich zur Unterlassung sowie zum Widerruf aller streitgegenständlichen rufschädigenden Äußerungen sowie zu einer Spende an ein Kinderhospiz.