Der Bundesgerichtshof (BGH) hat vor kurzem entschieden, dass ein Verstoß gegen die Bestimmungen des § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 3 Satz 1 AMG, § 1 Abs. 1 und 4, § 3 AMPreisV auch dann nicht geeignet ist, die Interessen von Mitbewerbern und sonstigen Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen, wenn bei einem Rezept, auf dem zwei oder mehr verschreibungspflichtige Arzneimittel verschrieben worden sind, die für die Annahme eines Bagatellverstoßes maßgebliche Wertgrenze von einem Euro für jedes abgegebene preisgebundene Arzneimittel ausgeschöpft wird. Der BGH bezog damit die Bagatellgrenze von einem Euro auf das einzelne Medikament, für dessen Einkauf eine Prämie versprochen wurde. Die Prämie insgesamt darf damit nach dem BGH beim Verkauf mehrerer rezeptpflichtiger Medikamente auch deutlich über einem Euro liegen, wenn nur für das einzelne Medikament die Bagatellgrenze von einem Euro nicht überschritten wird (BGH, Urt. v. 08.05.2013 – Az.: I ZR 90/12).
Der Kläger ist Apotheker. Er streitet mit der Beklagten, der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, darüber, ob er seinen Kunden bei der Einlösung von Rezepten für verschreibungspflichtige und damit preisgebundene Arzneimittel eine „Rezept-Prämie“ in Form eines Einkaufsgutscheins im Wert von mehr als einem Euro ankündigen und gewähren darf, der später beim Kauf nicht rezeptpflichtiger Arzneimittel eingelöst werden darf. Der Kläger hat für die von ihm insoweit durchgeführte Prämienaktion unter anderem mit einem Flyer geworben. Die Beklagte hat den Kläger deswegen mit der Begründung abgemahnt, die Bewerbung und Gewährung einer solchen Prämie verstoße gegen das Arzneimittelpreisrecht und sei damit auch wettbewerbswidrig.
Das Landgericht Meiningen hatte in der ersten Instanz noch der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs Recht gegeben. Die Berufung des klagenden Apothekers hatte vor dem Oberlandesgericht Jena in vollem Umfang Erfolg. Der BGH hielt die Entscheidung des OLG Jena für richtig und gab damit dem klagenden Apotheker abschließend Recht. Google
Der BGH ging wie das OLG Jena davon aus, dass die Ankündigung von Einkaufsgutscheinen, Bonustalern und Ähnlichem bei der Einlösung von Rezepten für verschreibungspflichtige Arzneimittel zwar gegen die arzneimittelrechtliche Preisbindungsvorschriften verstoße und daher unlauter im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG ist, die Ankündigung und Gewährung eines Einkaufsgutscheins von bis zu drei Euro für drei auf einem Rezept verschriebene verschreibungspflichtige Medikamente aber nicht die Spürbarkeitsschwelle des § 3 Abs. 1 UWG überschreite. Der Kläger habe mit seiner Rezept-Prämie die Wertgrenze von einem Euro für jedes verschreibungspflichtige Medikament ungeachtet dessen nicht überschritten, dass er pro Rezept maximal einen Einkaufsgutschein im Wert von bis zu drei Euro gewährt habe. Die im Schrifttum vertretene Ansicht, Bezugspunkt für die Geringwertigkeit der Werbegabe sei auch dann das Rezept, wenn auf ihm mehrere Medikamente verordnet worden seien, überzeuge nicht. Einzig sinnvoller Anknüpfungspunkt für die Beurteilung, ob die Gewährung eines Bonus im Wert von einem Euro zulässig sei, sei das verschriebene Medikament, da die Gewährung des Bonus sonst von dem Zufall abhinge, wie viele Medikamente auf einem Rezept verordnet worden seien und wie viele Rezepte der Kunde daher in eine Apotheke bringe. Nur eine zweifelsfrei an das verschriebene Medikament anknüpfende Sichtweise stelle auch die erwünschte Rechtssicherheit her.
Der erkennende Senat des BGH hat die von ihm bislang noch nicht entschiedene Frage, wo die Wertgrenze für eine geringwertige Kleinigkeit im Sinne des für die vorzunehmende Abgrenzung maßgeblichen § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 HWG verläuft, bislang dahingehend beantwortet, dass diese Grenze bereits bei einem Euro liegt. Im vorliegenden Urteil erweiterte der BGH seine Ansicht dahingehend, dass die Bagatellgrenze von einem Euro auf jedes verschreibungspflichtige Arzneimittel einzeln bezogen werden müsse, nicht auf alle verschriebenen Medikamente insgesamt. Vergeblich wende sich die Beklagte dagegen, dass der Kläger bei Rezepten, mit denen zwei oder mehr verschreibungspflichtige Arzneimittel verschrieben worden sind, die für die Annahme einer geringwertigen Kleinigkeit im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Fall 2 HWG und damit eines Bagatellverstoßes im Sinne von § 3 Abs. 1 UWG maßgebliche Wertgrenze von einem Euro zweifach bzw. dreifach ausschöpfe. Das mit der von der Beklagten beanstandeten Werbung angesprochene Publikum erkenne, dass das Gutscheinsystem des Klägers dem Kunden keinen besonderen Vorteil verschaffe, sondern lediglich verhindere, dass diesem aus dem für ihn mehr oder weniger zufälligen Umstand, dass ihm auf einem einzigen Rezept mehr als ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel verschrieben worden ist, beim zweiten und beim dritten verschriebenen Mittel ein sachlich nicht gerechtfertigter Nachteil entstehe. Dass der Verbraucher in diesem Zusammenhang nicht rezept-, sondern produktbezogen denke, liege zumal deshalb nahe, weil er umgekehrt daran gewöhnt sei, Zuzahlungen zu Arzneimitteln nicht rezeptbezogen, sondern produktbezogen leisten zu müssen (vgl. §§ 31, 61 SGB V).
Ich erlaube mir kurz den Hinweis, dass das vorliegende Urteil für Medizinprodukte nicht von Relevanz ist. Für Medizinprodukte käme im Einzelfall eine Rechtfertigung der Werbung mit Geldprämien nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 lit. a) Heilmittelwerbegesetz (HWG) in Betracht, und zwar auch für Geldprämien jenseits der Bagatellgrenze. Für Arzneimittel gilt diese Vorschrift jedoch nicht, wenn die Arzneimittel entgegen den Preisvorschriften gewährt werden, die aufgrund des Arzneimittelgesetzes gelten (siehe § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 2 HWG).