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Wurden Sie von Ihrem Arbeitgeber auf den drohenden Verfall Ihres Urlaubs hingewiesen?

Kein Hinweis – keine Frist!

Wurden Sie von Ihrem Arbeitgeber auf den drohenden Verfall Ihres Urlaubs hingewiesen? Am 20.12.2022 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) ein Grundsatzurteil gefällt. Der gesetzliche Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub unterliegt weiterhin der Verjährung, aber nur, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer explizit einen Hinweis erteilt hat: Nämlich, dass der Urlaubsanspruch verfällt, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht in Anspruch nimmt. Nur dann beginnt die gesetzliche Verjährungsfrist von 3 Jahren zum Jahresende.

Bisherige Rechtslage

Bislang gestaltete sich das deutsche Urlaubsrecht weniger arbeitnehmerfreundlich. Nach dem Bundesurlaubsgesetz gilt, dass Urlaub, der nicht im laufenden Jahr genommen wird, zum Ende des Jahres, spätestens zum 31.März des Folgejahres, verfällt.

Das Urteil des EuGH 2018

Mit einem Urteil im Jahr 2018 knüpfte der Europäische Gerichtshof (EuGH) den Verfall des Urlaubsanspruchs sodann an die Bedingung, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zunächst durch „angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt habe“, den Urlaubsanspruch auch wahrzunehmen. Das bedeutet, der Arbeitgeber müsse dem Arbeitnehmer die Möglichkeit gegeben haben, den Urlaub zu nehmen – erst wenn der Arbeitgeber seine Pflicht erfüllt habe, den Arbeitnehmer auf den verfallenden Urlaub hinzuweisen und ihn darüber zu unterrichten, verfalle der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers. Ansonsten bliebe der Anspruch bestehen.

Mitwirkungsobliegenheit – was bedeutet das und welche Auswirkung hat das für Sie?

Das BAG führte diese Mitwirkungsobliegenheit (keine Pflicht, sondern eine Obliegenheit) in das nationale Recht ein und erstreckte sie auch auf Urlaubsansprüche, die bereits vor der o. g. EuGH-Entscheidung entstanden waren. Das Wesen einer Obliegenheit ist, dass ihre Nichterfüllung zu Nachteilen führen kann.

Verjähren IHRE nicht verfallenen Urlaubsansprüche nach drei Jahren?

Nun warf ein Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Solingen die Frage auf, die den Ausgangspunkt für das hier besprochene Grundsatzurteil bildete: Die dortige Klägerin war viele Jahre in einer Kanzlei als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin beschäftigt. Aufgrund eines erheblichen Arbeitsaufkommens konnte sie ihren Urlaub nie vollständig nehmen. Als sie aus dem Arbeitsverhältnis ausschied, forderte die Klägerin die Abgeltung ihres nicht genommenen Urlaubs, der sich auf 101 Tage belief.

Entscheidung des Arbeitsgericht Solingen

Das Arbeitsgericht Solingen wies die Klage der Arbeitnehmerin erstinstanzlich ab. Das Landesarbeitsgericht gab der Klägerin hingegen Recht und sprach ihr eine Urlaubsabgeltung in Höhe von 17.376,64€ zu, was der Arbeitgeber für falsch hielt und sich dabei auf die Einrede der Verjährung berief.

Urlaubsverjährung ohne Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit?
Kein Hinweis – Keine Frist!

Weil der Arbeitgeber seine Hinweispflichten in dem Fall der Steuerfachangestellten nicht erfüllt hatte, war der Urlaubsanspruch der Klägerin nicht verfallen. Das Bundesarbeitsgericht hatte nun zu klären, ob die allgemeine Regelung in §§ 195, 199 BGB, dass Ansprüche nach drei Jahren verjähren, auch für Urlaubsansprüche gilt. Der Arbeitgeber der Klägerin berief sich auf eben diese Verjährungsfrist, die den Urlaubsanspruch der Arbeitnehmerin ohne Arbeitgeberhinweis undurchsetzbar gemacht.

Wie viel Einfluss hat das Urteil des EuGH?

Das BAG hat am 20.12.2022 entschieden, dass die allgemeinen Verjährungsregeln des deutschen Rechts, wonach Ansprüche nach 3 Jahren zum Jahresende verjähren, dann für Urlaubsansprüche nicht gelten, wenn es an einem entsprechenden Hinweis des Arbeitgebers fehlt. Verkürzt: Kein Hinweis – keine Frist. So setzt das Urteil die zwingenden Vorgaben des EuGH zu den Urlaubsfristen um.

Rechtssicherheit nur nach Hinweiserteilung

Die Rechtssicherheit, auf die sich der Arbeitgeber im Verfahren beruft, habe er selbst in der Hand, indem er seine Obliegenheiten erfülle oder nachhole. Komme er dieser Verantwortung nicht nach, so dürfe nach Ansicht des Gerichts nicht der Arbeitnehmer für das Versäumnis seines Arbeitgebers bestraft werden, indem sein Urlaubsanspruch als Arbeitnehmer verjähre.

Verjährt Ihr Urlaub oder nicht?

Die Entscheidung des BAG war absehbar. Das Gericht folgt der Entscheidung des EuGH, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub der dreijährigen Verjährungsfrist zum Jahresende unterliege. Die Verjährung beginne aber erst dann zu laufen, wenn der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer über den konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer seinen Urlaub dennoch freiwillig nicht genommen habe. In diesem Fall lautet die Antwort: Ja, der Urlaub verjährt.

Die Antwort lautet häufig: Nein!

Wenn es am Hinweis des Arbeitgebers zum Verlust etwaiger Urlaubsansprüche fehlt, können Arbeitnehmer unter Umständen auch noch Ansprüche aus früheren Jahren geltend machen. In vielen Fällen können sich Arbeitgeber nicht auf die dreijährige Verjährung nach §§ 195, 199 BGB stützen.

Was sind die praktischen Folgen des Urteils?

Auch wenn die Entscheidung nicht überraschend war, weil das BAG die Vorgaben des EuGH umsetzte, bringt das Urteil dennoch einige Brisanz mit sich. Das liegt vor allem an der Tragweite, die das Urteil voraussichtlich sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber hat. Während einige Arbeitnehmer sich womöglich über Resturlaub aus den vergangenen Jahren freuen können, weil der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht nachgekommen ist oder noch Urlaubsabgeltungsansprüche nach Beendigung eines Arbeitsverhältnisses zu erhoffen sind, befürchten Arbeitgeber, von Klagewellen überrollt zu werden.

Unser Hinweis für Sie

Im Allgemeinen empfiehlt es sich für Arbeitgeber, nun zu prüfen, ob mögliche Hinweispflichten erfüllt oder nachgeholt werden sollten, um sich vor schlimmstenfalls hohen Abgeltungssummen zu schützen.
Für Arbeitnehmer gilt es, darauf zu achten, ob ihr Arbeitgeber seine Obliegenheit erfüllt hat, um etwaig laufende Fristen für den Anspruchsverlust durch Verjährung zu erkennen.
Es kann von Vorteil sein, wenn Ihr Arbeitgeber Sie nicht auf den drohenden Verfall Ihres Urlaubs hingewiesen hat.