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Kampf gegen den Fachkräftemangel: Koalition will qualifizierte Erwerbsmigration weiter stärken

Deutschland fehlen die Fachkräfte. Insbesondere in den „MINT – Bereichen“ (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) sowie in der Gesundheitsbranche herrscht ein ausgeprägter Mangel an qualifizierten Arbeitnehmern. Vor diesem Hintergrund versucht die aktuelle Bundesregierung Maßnahmen auf den Weg zu bringen, den Fachkräftemangel zu beheben: Nach zwei Jahren Fachkräfteeinwanderung sollen nun erneut die Migrationshürden (insbesondere in Bezug auf die „Blaue Karte EU“) gesenkt werden. Im Folgenden stellen wir die zu erwartenden Reformen vor, die in erster Linie zu einem Bürokratieabbau führen sollen.

2 Jahre Fachkräfteeinwanderungsgesetz: BAMF zieht vorläufiges Fazit

Vor zwei Jahren setzte die damals amtierende Bundesregierung den ersten Impuls zur Stärkung der qualifizierten Zuwanderung aus dem Ausland, indem am 01.03.2020 das sog. „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ verabschiedet wurde. Zwei Jahre nach Inkrafttreten stellen sich Kritiker und Befürworter die Frage: Hält das Gesetz, was es versprochen hat?

Rein statistisch betrachtet ist das Ergebnis ernüchternd. Im Jahr 2021 berichteten 51 % der von der DIHK befragten Unternehmen, Stellen längerfristig nicht besetzen zu können, was im Vergleich zum Vorjahr sogar eine Steigerung von 19 % darstellt. Weitere Untersuchungen bestätigen diesen Eindruck. Nach verschiedenen Studien bräuchte Deutschland pro Jahr ca. 260.000 zuwandernde Fachkräfte. Nach Berechnungen des BMWI müsste diese Zahl langfristig sogar auf bis zu 400.000 Personen pro Jahr erhöht werden, um die Nachfrage nach qualifizierten Arbeitnehmern zu decken.

Diesen enormen Einwanderungserwartungen steht die überschaubare Zahl von gerade einmal 30.000 erteilten Visa für qualifizierte Fachkräfte von 2020 bis März 2021 gegenüber. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) führt diese Stagnation vordergründig auf Covid-19 zurück, betont aber trotzdem, dass trotz strenger Grenzkontrollen weiterhin Visa erteilt werden konnten. Nach den Zahlen der Behörde seien in den letzten zwei Jahren mehr als 100.000 schriftliche und telefonische Beratungen durchgeführt worden und auf der Hotline „Arbeiten und Leben in Deutschland“ gingen monatlich mehr als 5.000 Anfragen zu Themen rund um das Thema Fachkräfteeinwanderung ein. Auch auf institutioneller Ebene würde versucht, die Fachkräfteeinwanderung zu fördern, indem etwa in den Bundesländern zentrale Anlaufstellen und bei der Bundesagentur für Arbeit eine gesonderte Servicestelle für Berufsanerkennungen eingerichtet wurde. Auf diese Weise soll vor allem auch die Zusammenarbeit mit den rechtsberatenden Berufen (wie etwa mit Rechtsanwälten für Einwanderungsrecht und Aufenthaltsrecht) gestärkt und vereinfacht werden.

Neue Ansätze der Ampel-Koalition

Vor dem Hintergrund dieser Ausgangssituation liegen große Herausforderungen vor der gegenwärtigen Regierung: In der Migrationspolitik soll laut Koalitionsvertrag ein „Neuanfang und Paradigmenwechsel“ forciert werden, um die Zuwanderung von Fachkräften aus Drittstaaten zu fördern.

Ein Fokus der Bundesregierung liegt dabei auf der Vereinfachung und Beschleunigung der Visavergabeverfahren. Um Hürden abzubauen, setzt die Koalition insbesondere auf Entbürokratisierung, die Digitalisierung des Verfahrens und die Bündelung der Zuständigkeiten für die Vergabe der Aufenthaltstitel. Im Übrigen sollen auch die Verfahren für die Anerkennung von im Ausland erworbenen Abschlüssen verbessert werden, so dass Anerkennungsverfahren in Zukunft auch ohne rechtliche Beratung durchgeführt werden können.

Weiterhin ist mit der „Chancenkarte“ ein neuer Aufenthaltstitel geplant. Der Titel soll es Fachkräften ohne konkretes Jobangebot ermöglichen, einzureisen und in Deutschland einen Arbeitsplatz zu suchen. Hierfür wird ein bestimmtes Punktesystem („nach kanadischem Vorbild“) umgesetzt, das die potenziellen Arbeitnehmer nach den Kriterien des Bildungsgrads, der Arbeitserfahrung und der Deutschkenntnisse bewertet. Flankiert werden sollen diese Maßnahmen durch allgemeine Qualifizierungs- und Ausbildungsangebote.

Reform der Blauen Karte EU steht bevor

Außerdem hat die neue Bundesregierung angekündigt, die Blaue Karte EU im nationalen Recht auch auf nicht-akademische Berufe ausweiten zu wollen. Bislang beschränkte sich der Aufenthaltstitel Blaue Karte EU auf hochqualifizierte Fachkräfte, die aus Drittstaaten für den deutschen Arbeitsmarkt gewonnen werden sollten. Andere Berufsgruppen mussten sich häufig erst mit anwaltlicher Hilfe ein entsprechendes Visum einklagen. Weiterhin wurde das notwendige Gehalt zu Beginn des Jahres 2022 um 0,7 % reduziert: Das bedeutet konkret, dass das geforderte Mindestjahresbruttogehalt grundsätzlich von 56.800€ auf 56.400€ und für die MINT-Bereiche von 44.304 € auf 43.992 € gesenkt wurde. Deutschland setzt verstärkt auf die Vergabe von Blauen Karten EU, wobei wir mit anteilig 84,5 % aller erteilten Blauen Karten bereits Spitzenreiter in der Europäischen Union sind.

Auch auf europäischer Ebene ist der Fachkräftemangel weiterhin ein Thema. In Übereinstimmung mit den Plänen der Bundesregierung wurde auch in der Europäischen Union eine Reform der Blauen Karte EU verabschiedet. Konkret soll europaweit der Erwerb vereinfacht werden, indem die notwendigen Arbeitsvertragszeiten und das notwendige Gehalt abgesenkt wurden. Wie diese Reformen in deutsches Recht umgesetzt werden, bleibt abzuwarten.