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Aufenthaltsperspektiven für qualifizierte Ukraine-Flüchtlinge

Infolge des Krieges in der Ukraine erreichen derzeit viele ukrainische Staatsangehörige Deutschland. Für diese Menschen stellt sich oftmals die existenzielle Frage nach der Möglichkeit einer Erwerbstätigkeit. Dies gilt nicht nur für die Frage nach der Arbeitserlaubnis, sondern auch für ganz praktische Fragen, wie etwa die Anerkennung von Ausbildungs- und Hochschulabschlüssen. Nachfolgend sollen die wichtigsten Fragen kurz und knapp beantwortet werden, um Ratsuchenden einen ersten Überblick zu verschaffen.

Darf ich als ukrainischer Staatsbürger legal nach Deutschland einreisen?

Die Einreise nach Deutschland ist für ukrainische Staatsangehörige ohne Visum möglich, da Ukrainer grundsätzlich in den Genuss der Schengen-Freizügigkeit kommen. Einzige Voraussetzung hierfür ist gemäß dem sogenannten Schengen-Grenzkodex ein biometrischer Reisepass. Ohne entsprechenden Pass besteht nur die Möglichkeit, eine humanitäre Ausnahme zu beantragen. In der Praxis finden aufgrund der momentanen Ausnahmesituation allerdings keine geordneten Grenzkontrollen statt.

Darf ich mich als Ukrainer legal in Deutschland aufhalten?

Als Ausländer ist in der Regel ein sogenannter Aufenthaltstitel notwendig, um sich rechtmäßig in Deutschland aufzuhalten. Für die ersten 90 Tage des Aufenthalts gelten für Ukrainer die Schengen-Freizügigkeiten. Nach Ablauf dieser ersten 90 Tage muss bei der Behörde ein entsprechender Aufenthaltstitel beantragt werden (je nach konkreter Situation ggf. mit Hilfe eines Rechtsanwalts für Einwanderungsrecht). Von dieser Regel hat das Bundesinnenministerium allerdings im Lichte der derzeitigen Krisensituation eine Ausnahme erlassen, um Schutzsuchenden eine unkomplizierte Einreise zu ermöglichen und den Verwaltungsprozess handhabbar zu gestalten. Gemäß § 2 UkraineAufenthÜV sind nunmehr bis zum 23.05.2022 alle Ausländer, die sich am 24.02.2022 in der Ukraine aufgehalten haben und dann bis zum 23.05.2022 in das Bundesgebiet eingereist sind, vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit.

Darf ich als ukrainischer Staatsangehöriger in Deutschland ohne Aufenthaltstitel arbeiten?

Solange Ihnen noch kein Aufenthaltstitel erteilt wurde, dürfen Sie nicht arbeiten. Gleichwohl sieht der von der Regierung vorgesehene Aufenthaltstitel in der Regel eine unbeschränkte Erwerbsmöglichkeit vor. Dies gilt auch für alle selbstständigen Tätigkeiten. Die Tätigkeit ohne Aufenthaltstitel stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, die erhebliche aufenthaltsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann.

Woher bekomme ich als Ukrainer einen Aufenthaltstitel?

Aufenthaltstitel werden regelmäßig bei der Ausländerbehörde beantragt. Zuständig ist dabei die Ausländerbehörde des Wohnsitzes. In der Praxis führt momentan schon das Anmelden einer Wohnung bei der zuständigen Kommune oder Stadt dazu, dass diese die entsprechenden Daten an die Ausländerbehörde weitergeben, welche dann die Antragsformulare verschicken.

Welchen Aufenthaltstitel benötige ich als ukrainischer Staatsangehöriger?

Mit Ablauf der UkraineAufenthÜV am 23.05.2022 wird jeder Ukrainer wieder einen Aufenthaltstitel für den legalen Aufenthalt in Deutschland benötigen. Dabei stellt sich häufig die Frage, welcher Titel zu beantragen ist. Dies hängt mitunter stark vom Einzelfall ab und kann pauschal nicht beantwortet werden.

Asyl und subsidiärer Schutz für Menschen aus der Ukraine

Zunächst ist im Falle von ukrainischen Staatsangehörigen auf jeden Fall davon abzuraten, Asyl oder subsidiären Schutz beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu beantragen. Diese Titel gehen mit massiven Freiheitsbeschränkungen (Pflicht zum Wohnen in einer Erstaufnahmeeinrichtung, Residenzpflicht, Wohnsitzzuweisung) einher und verbieten in der Regel auch die zur Sicherung des Lebensunterhalts notwendige Erwerbstätigkeit. Sollte bereits Asyl beantragt worden sein, ist auf jeden Fall die Konsultation eines Rechtsanwalts zu empfehlen, um möglicherweise mit der Ausländerbehörde einen nachträglichen Titelwechsel zu verhandeln.

Aufenthaltserlaubnis nach der sog. Massenzustromsrichtlinie

Die Behörden sind in der Praxis dazu übergangen, schon bei der melderechtlichen Benachrichtigung automatisch Anträge nach § 24 AufenthG zu verschicken. § 24 AufenthG ist wie das Asyl ein humanitärer Aufenthaltstitel, allerdings ohne die zahlreichen Restriktionen des Asylgesetzes. Die Norm wurde durch den europäischen Durchführungsbeschluss 2022/382 des Rates vom 04.03.2022 in Kraft gesetzt, welcher die sog. Massenzustromsrichtlinie aktivierte, die wiederum eine Aufnahme gem. § 24 AufenthG vorsieht. Ein Titel nach § 24 AufenthG ermöglicht grundsätzlich sowohl die abhängige als auch die selbstständige Erwerbstätigkeit.

Fachkräfteeinwanderung aus der Ukraine

Auch wenn eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 24 AufenthG grundsätzlich eine Erwerbstätigkeit ermöglicht und im Vergleich zum Asyl ohne Freiheitsbeschränkungen daherkommt, hat sie im Vergleich zu den Aufenthaltstiteln für Hochqualifizierte dennoch gravierende Nachteile. So bringt beispielsweise die “Blaue Karte EU” im Hinblick auf die räumliche Freizügigkeit, den Familiennachzug, die Niederlassungserlaubnis und die Einbürgerung erhebliche Privilegien mit sich. Dies gilt nicht nur für die rein rechtlichen Möglichkeiten, sondern leider auch für die tatsächliche Arbeitsgeschwindigkeit der Behörden.

Die Wahl des richtigen Aufenthaltstitel ist dabei nicht nur reine Formalie, da sich die Aufenthaltstitel zur Verhinderung von Missbrauch gegenseitig ausschließen. In der Praxis bedeutet dies: Wer einen humanitären Aufenthaltstitel (etwa nach § 24 AufenthG) besitzt, ist für die Blaue Karte EU “gesperrt”. Wer also den Antrag nach § 24 AufenthG ausfüllt, kann später keine Fachkräfteeinwanderung mehr beantragen. Das BMI hat dieses Problem zwar in einer Behördenanweisung vom 14.03.2022 adressiert, es bleibt jedoch abzuwarten, wie die Justiz mit der Lage umgehen wird. Falls also ein Anspruch auf die Titel für Fachkräfte gegeben ist, sollte dieser auf jeden Fall vorrangig beantragt werden. Ob ein entsprechender Anspruch gegeben ist, sollte in unklaren Fällen zuvor durch einen spezialisierten Rechtsanwalt für Einwanderungsrecht geklärt werden.

Wie bekomme ich einen Aufenthaltserlaubnis für Fachkräfte und insbesondere die Blaue Karte EU?

Natürlich drängt sich die Frage auf, wie ukrainische Staatsangehörige die Blaue Karte EU oder andere Titel zur Fachkräftezuwanderung erlangen können. Gemeinsames Merkmal der Titel für die sogenannte Fachkräfteeinwanderung ist das Vorliegen einer anerkannten abgeschlossenen Ausbildung oder eines Hochschulstudiums und ein konkretes Arbeitsplatzangebot.

Anerkannte Ausbildung oder anerkanntes Hochschulstudium

Die Ausbildung oder das Hochschulstudium muss in Deutschland anerkannt sein. Die Anerkennung erfolgt regelmäßig durch die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) der Kultusministerkonferenz (KMK). Die ZAB betreibt für Hochschulabschlüsse eine öffentlich einsehbare zentrale Datenbank (anabin.kmk.org). Sollte das Hochschulstudium an einer bestimmten Hochschule in dieser Datenbank eingetragen sein, kann davon ausgegangen werden, dass das Studium auch anerkannt wird. Sollte der konkrete Hochschulabschluss nicht im Anabin eingetragen sein, bedeutet dies nicht, dass er nicht anerkannt wird, sondern lediglich, dass eine Anerkennung manuell durchzuführen ist. In diesem Fall ist bei der ZAB eine entsprechende “Zeugnisbewertung” durchzuführen. Zeugnisbewertungen für die Blaue Karte EU werden in der Anerkennungsstelle vorrangig behandelt, kosten ca. 200,00 Euro und dauern in etwa drei Wochen. Die einzureichenden Unterlagen sind auf der Website der ZAB aufgelistet und variieren nach Staatsangehörigkeit.

Im Falle einer abgeschlossenen Ausbildung ist das Vorgehen leicht abweichend. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) führt zwar ein Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe, allerdings klärt dies nicht abschließend die notwendige Vergleichbarkeit der Qualifikationen. Vielmehr muss im Falle der sogenannten reglementierten Berufe ein bestimmtes Anerkennungsverfahren durchlaufen werden. Die Bundesregierung hat hierfür ein eigenes Informationsportal eingerichtet (anerkennung-in-deutschland.de).

Konkretes Jobangebot

Sollten die formellen Voraussetzungen der Fachkräfteeinwanderung erfüllt sein, wird weiterhin ein korrespondierendes Beschäftigungsangebot benötigt. Konkret bedeutet dies, dass die Beschäftigung nur in dem Bereich erfolgen darf, in welchem auch das Hochschulstudium oder die Ausbildung absolviert wurde. Dieses Erfordernis wird von den Behörden zwar großzügig gehandhabt (so darf etwa ein Arzt auch als Pharmazeutiker oder ein Steuerberater als Banker arbeiten), allerdings darf die angestrebte Beschäftigung auch nicht vollkommen fachfremd sein. In der Praxis kommt es hier stellenweise zu Auseinandersetzungen mit den Ausländerbehörden. Diese Konflikte können jedoch regelmäßig mit Hilfe eines Rechtsanwalts für Einwanderungsrecht beigelegt werden.

Es gibt eine ganz Reihe weiterer Voraussetzungen, welche jedoch in der Regel mit einem abgeschlossenen Studium und einem entsprechenden Beschäftigungsangebot auch unter erschwerten Bedingungen erfüllbar sind.

Wie geht es danach weiter?

Langfristig ermöglichen die Fachkräfteeinwanderungstitel und insbesondere die Blaue Karte EU eine ganze Reihe von Möglichkeiten. So ist für Fachkräfte schon nach vier Jahren die Beantragung einer unbegrenzten Niederlassungserlaubnis möglich. Im Falle der Blauen Karte EU kann diese Zeit bei Vorliegen entsprechender Sprachkenntnisse sogar auf bis zu 21 Monate verkürzt werden. Mit der Blauen Karte EU ist sodann auch eine Einbürgerung und über den sogenannten “Daueraufenthalt EU” eine Mobilität in der gesamten Europäischen Union möglich.

Tipps für die Praxis:

Im Ergebnis ist unter Berücksichtigung der momentanen Situation beim Vorliegen eines qualifizierten Ausbildungs- oder Hochschulabschlusses zu empfehlen, schnellstmöglichst die Abschlüsse in Deutschland anerkennen zu lassen. Parallel sollte an einem Integrations- und Sprachkurs teilgenommen und eine Beschäftigung gesucht werden. Sollte bei Ablauf der UkraineAufenthÜV am 23.05.2022 weder eine Beschäftigung noch die Anerkennung der Abschlüsse in Aussicht stehen, kann immer noch ein Antrag auf humanitären Schutz nach § 24 AufenthG bei der Ausländerbehörde des Wohnsitzes gestellt werden.