Litigationblog

Wie viel verdient mein Kollege? EU-Kommission will „Lohntransparenz“ stärken

Nicht nur im Zuge der Diskussionen um „Geschlechtergerechtigkeit“ wird von Interessengruppen mehr Lohntransparenz gefordert. Auch das innerbetriebliche Lohngefälle und die unterschiedlich hohe Vergütung verschiedener Arbeitnehmer ist häufig nicht unumstritten. Auf diese Lage hat nun die EU-Kommission mit einem Vorschlag für eine neue Richtlinie reagiert. Doch welche Maßnahmen sind geplant und was bedeuten diese für Arbeitgeber und Arbeitnehmer? Antworten auf diese Fragen erhalten Sie hier bei ZELLER & SEYFERT.

„Gerechte“ Löhne werden in ganz Europa gefordert, wobei Lohntransparenz als einer der Schlüsselfaktoren zur Erreichung dieses Ziels gilt. In einem weiteren Versuch zur Durchsetzung einer Gleichstellung von Männern und Frauen hat die Europäische Kommission am 04.03.2021 einen Vorschlag insoweit vorgelegt:

„Vorschlag für eine RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Lohntransparenz und Durchsetzungsmechanismen“ – 2021/0050 (COD)“

Nach dieser Regelung werden Arbeitgeber künftig zu mehr Lohntransparenz verpflichtet. Außerdem soll der Zugang zur Justiz für mögliche Opfer von Lohndiskriminierung verbessert werden.

Wie wird die Lohntransparenz geregelt?

Der Kommissionsvorschlag hat zwei Hauptbestandteile: Zum einen beinhaltet er Maßnahmen zur Gewährleistung von Lohntransparenz für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Zum anderen soll er für einen besseren Zugang zu den Gerichten sorgen. Diese Ziele erscheinen im Hinblick auf Art. 3 GG und das Gebot effektiven Rechtsschutzes löblich. Allerdings bewirkt der Vorschlag der Kommission keinen Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

Welche Maßnahmen sind geplant?

Zunächst ist die Systematik des Gesetzes zu erläutern: Art. 1–5 (Kapitel 1) stellen die allgemeinen Bestimmungen dar, Art. 5–11 (Kapitel 2) regeln die materiellen Maßnahmen, durch die die Lohntransparenz verbessert werden soll. In den Art. 12–23 (Kapitel 3) finden sich Verfahrensregeln und in den Art. 24–34 (Kapitel 4) die Schlussbestimmungen. In diesem Beitrag liegt der Fokus auf den Kapiteln 2 und 3.

Maßnahmen zur Verbesserung der Lohntransparenz

Lohntransparenz ist nicht nur während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses wünschenswert. Schon für die Zeit vor Abschluss eines Arbeitsvertrags soll es entsprechende Regelungen geben und Arbeitnehmer sollen ein Auskunftsrecht erhalten. Wie dies erreicht werden soll, wird im Folgenden erläutert.

Lohntransparenz schon vor der Beschäftigung?

Die erste gesetzliche Neuerung ergibt sich bereits vor dem Abschluss eines Arbeitsvertrags. Würde der vorliegende Vorschlag in der gültigen Fassung von Parlament und Rat verabschiedet werden, müssten Arbeitgeber künftig Stellenbewerbern „Informationen über das auf objektiven geschlechtsneutralen Kriterien beruhende Einstiegseinkommen für die betreffende Stelle oder dessen Spanne“ geben. Verboten wäre ihnen zudem die Frage nach der Lohnentwicklung in früheren Beschäftigungs-verhältnissen. Dies gilt unabhängig davon, ob sie schriftlich, persönlich oder über einen Vertreter erfolgt.

Inwieweit dies jedoch die privatrechtlich verankerte und im Grundgesetz abgesicherte Privatautonomie einschränken würde, ist fraglich. Zudem würde ein Anknüpfungspunkt in den Vertragsverhandlungen wegfallen und das Eingehen eines späteren Arbeitsverhältnisses auf wackligeren Füßen stehen. Arbeitgeber könnten ein wesentliches Kriterium zur Einschätzung von Bewerbern vor Vertragsschluss verlieren. Schließlich kann deren Eignung für eine bestimmte Stelle auch anhand des früheren Gehalts häufig ganz gut eingeschätzt werden.

Transparenz bei der Festlegung des Entgelts und der Laufbahnentwicklung

Sollte es danach zu einem Vertragsschluss zwischen den beiden Parteien gekommen sein, hat der Arbeitgeber allen Arbeitnehmern eine „Beschreibung der Kriterien für die Festlegung des Entgelts und ihrer Laufbahnentwicklung in leicht zugänglicher Weise“ zur Verfügung zu stellen. Dabei ist aus dem Vorschlag nicht ersichtlich, wie konkret die Kriterien zur Laufbahnentwicklung formuliert sein müssen. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund des permanenten wirtschaftlichen und digitalen Wandels bemerkenswert, da sich diese Kriterien im Laufe der Zeit ändern können. Wie der Richtlinienvorschlag mit diesem Problem umgehen will, ist nicht erkennbar.

Erhalten Arbeitnehmer ein Auskunftsrecht?

Der EU-Vorschlag räumt Arbeitnehmern ein Auskunftsrecht ein. Danach hätten Beschäftigte einen Rechtsanspruch darauf, zu erfahren, wie hoch ihr individuelles Einkommen im Vergleich zum Durchschnittseinkommen ist. Die Auskunft soll aufgeschlüsselt nach Geschlecht und jeweils für die Gruppen von Arbeitnehmern erfolgen, die gleiche oder vergleichbare Arbeit verrichten. Auf dieses Recht muss der Arbeitgeber jedes Jahr hinweisen und nach Beantragung diese Auskünfte innerhalb einer „angemessenen Frist“ erteilen. Ferner wird die Verklausulierung von Verschwiegenheitsvereinbarungen in Bezug auf die Entgelthöhe faktisch verboten. Nach dem Kommissionsvorschlag dürften Arbeitnehmer somit nicht mehr daran gehindert werden, ihr Gehalt offenzulegen, um den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durchzusetzen.

Was ist gleichwertige Arbeit?

Dabei stellen sich jedoch bereits jetzt mehrere Fragen: Für Unsicherheit sorgt zunächst der Begriff der „gleichwertigen Arbeit“ – was soll darunter verstanden werden? Ist der studentische Mitarbeiter mit einer ausgebildeten Arbeitskraft zu vergleichen, nur weil beide in etwa die gleiche Tätigkeit ausführen? Wo wird die Grenze gezogen? Eine Beantwortung dieser Fragen sieht weder die Richtlinie vor noch kann es sonst vorhergesagt werden. Diese Frage dürfte Gegenstand zahlreicher arbeitsgerichtlicher Verfahren werden.

Belastung des Arbeitsklimas?

Nicht absehbar ist auch, wie sich das Arbeitsklima innerhalb eines Betriebs entwickelt, wenn Arbeitnehmer aufgrund ihres Verhandlungsgeschicks oder einer größeren Effizienz bei vergleichbarer Arbeit mehr verdienen als der vermeintlich betroffene Arbeitnehmer selbst (Stichwort: Neidkultur). Zudem wäre wohl schwer kontrollierbar, ob eine Offenlegung der Lohnhöhe wegen der Durchsetzung des Grundsatzes gleichen Entgelts erfolgte.

Zusatzregelungen für Unternehmen mit mindestens 250 Arbeitnehmern

Neben den bereits erläuterten Einschränkungen kommen weitere für Arbeitgeber mit mindestens 250 Arbeitnehmern hinzu.

Berichterstattung über das Lohngefälle zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
Zusatzregelungen betreffen zum einen Veröffentlichungspflichten hinsichtlich des Lohngefälles zwischen allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Auskunft erteilt werden muss demnach über

  • ergänzende oder variable Bestandteile,
  • das mittlere Lohngefälle zwischen allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern,
  • den Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ergänzende oder variable Bestandteile erhalten,
  • den Anteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in jedem Einkommensquartal und
  • das Lohngefälle zwischen weiblichen und männlichen Arbeitnehmern bei Gruppen von Arbeitnehmern, aufgeschlüsselt nach dem normalen Grundentgelt sowie nach ergänzenden oder variablen Bestandteilen.

Alle genannten Daten müssen unter Erbringung nicht unerheblichen bürokratischen Aufwands in benutzerfreundlicher Weise veröffentlicht werden, etwa auf der Website des Arbeitgebers oder anderswo. Dabei enthält die Richtlinie auch eine Ermächtigungsgrundlage zur verwaltungsinternen Speicherung und anschließenden Verbreitung der genannten Daten.

Arbeitgeber sind in beiden Fällen zur vierjährigen Aufbewahrung dieser Datensätze verpflichtet. Darüber hinaus erhalten alle Arbeitnehmer das Recht, vom Arbeitgeber zusätzliche Klarstellung und Einzelheiten zu beliebigen bereitgestellten Daten zu verlangen. Dass dies datenschutzrechtlich problematisch und aufgrund des bürokratischen Aufwandes aus Sicht der Arbeitgeber nicht wünschenswert ist, muss nicht erläutert werden.

Was bedeutet gemeinsame Entgeltbewertung?

Andererseits müssen Arbeitgeber unter bestimmten Umständen eine „gemeinsame Entgeltbewertung“ vornehmen. Dies ist der Fall, wenn ein Unterschied beim Durchschnittseinkommen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Höhe von mindestens fünf Prozent in einer Gruppe von Arbeitnehmern vorliegt und dieser nicht durch „objektive und geschlechtsneutrale“ Faktoren gerechtfertigt wird. Was aber genau unter diesen Faktoren verstanden wird, bleibt ebenso unklar wie der Begriff der „Gruppe von Arbeitnehmern“.

Die „gemeinsame Entgeltbewertung“ umfasst

  • eine Analyse des Anteils der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in jeder Gruppe von Beschäftigten,
  • detaillierte Informationen über das Durchschnittseinkommen von Frauen und Männern sowie über ergänzende oder variable Bestandteile für jede Gruppe von Arbeitnehmern,
  • eine Ermittlung etwaiger Einkommensunterschiede zwischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in jeder einzelnen Beschäftigtengruppe,
  • die Gründe für solche Einkommensunterschiede sowie gegebenenfalls objektive, geschlechtsneutrale Rechtfertigungen wie von den Arbeitnehmervertretern und dem Arbeitgeber gemeinsam festgestellt,
  • Maßnahmen zur Beseitigung solcher Unterschiede, wenn diese nicht auf der Grundlage objektiver und geschlechtsneutraler Kriterien gerechtfertigt sind, sowie
  • einen Bericht über die Wirksamkeit der in früheren gemeinsamen Entgeltbewertungen genannten Maßnahmen.

Welche Rechtsmittel zur Rechtsdurchsetzung sind geplant?

Zur Rechtsdurchsetzung werden Rechtsschutz und Beschwerdefähigkeit gewährleistet. Außerdem gibt es Regelungen zum Anspruch auf Entschädigung, zur Beweislast und Verjährung sowie zu den Gerichts- und Verfahrenskosten

Rechtsschutz und Beschwerdefähigkeit

Die Mitgliedstaaten müssten ein Verfahren sicherstellen, über das sich die Arbeitnehmer auf einen Verstoß gegen ihre Rechte berufen können. Dabei sollen Verbände, Organisationen, Gleichbehandlungsstellen und Arbeitnehmervertreter sowie andere juristische Personen an allen Gerichts- oder Verwaltungsverfahren teilnehmen können. Bedingung ist, dass diese gemäß den im nationalen Recht festgelegten Kriterien ein berechtigtes Interesse an der Gewährleistung der Gleichstellung von Männern und Frauen haben, um Rechte oder Pflichten im Zusammenhang mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts durchzusetzen. Dabei dürfen Gleichbehandlungsstellen und Arbeitnehmervertreter mit Zustimmung der Betroffenen im Namen oder zur Unterstützung mehrerer Arbeitnehmer handeln. Ob dabei ein lediglich wirtschaftlicher Vorteil des Beschwerdeführers ausreicht, ist noch nicht ersichtlich.

Anspruch auf Entschädigung

Wird ein Verstoß gegen den Grundsatz des gleichen Entgelts festgestellt, soll künftig ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Entschädigung oder Wiedergutmachung entstehen. Dieser soll einen tatsächlichen und wirksamen Ersatz des erlittenen Schadens auf eine abschreckende und dem erlittenen Schaden angemessene Art und Weise erreichen. Zudem soll sich ein vermeintlich Betroffener auf einstweilige Verfügungen zur Feststellung eines Verstoßes oder zur Ergreifung struktureller oder organisatorischer Maßnahmen zur Erfüllung von Rechten oder Pflichten berufen können. Diese Ansprüche werden bei Missachtung mit Zwangsgeldzahlungen durchgesetzt.

Wer trägt die Beweislast?

Wenn sich ein Arbeitnehmer auf eine Verletzung seiner Rechte beruft und diese glaubhaft macht, muss der Arbeitgeber beweisen, dass keine (un)mittelbare Diskriminierung vorliegt. Sollten seitens des Gerichts Zweifel verbleiben, gehen diese zu Lasten des Arbeitgebers. Dies erzeugt ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit, denn das Nichtvorliegen eines Grundes wird in den seltensten Fällen vollständig nachgewiesen werden können.
Wann verjähren die Ansprüche?
Die mindestens dreijährigen Verjährungsfristen beginnen erst, wenn der Kläger Kenntnis des Verstoßes gegen den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen erlangt hat oder diese vernünftigerweise erwartet werden kann.

Wer trägt die Gerichts- und Verfahrenskosten?

Grundsätzlich trägt der Arbeitgeber die Gerichts- und Verfahrenskosten. Darunter werden bei Obsiegen des Arbeitnehmers auch Gerichts- und Sachverständigenhonorare verstanden. Aber auch bei Obsiegen des Arbeitgebers muss dieser seine Kosten selbst tragen. Dies lässt sich nur vermeiden, wenn er beweisen kann, dass die Klage wider Treu und Glauben erhoben wurde oder die Nichtbeitreibung unter den besonderen Umständen des Einzelfalls offensichtlich unangemessen wäre. Für die Praxis heißt das, dass eine nahezu unmöglich zu überwindende Hürde für die Geltendmachung etwaiger Schadensposten aufgebaut wurde.

Was bedeutet der Vorschlag für die Praxis?

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieser Kommissionsentwurf – sollte er vom Europäischen Parlament und dem Rat in seiner aktuellen Form verabschiedet und dann ins deutsche Recht umgesetzt werden – erhebliche Änderungen mit sich bringen wird: Der Umfang der vorgesehenen Auskunftspflichten zusammen mit den formellen Regelungen zu Beweislast und Kostenverteilung werden zu einer deutlichen Bürokratie-Mehrbelastung für die Arbeitgeberseite führen und damit auch die Arbeitskosten an sich erhöhen. Hinzu kommen Einschränkungen der Privatautonomie. Die Frage ist also, ob sich diese Zusatzbelastungen mit der Hoffnung auf die Aufdeckung sonst nicht erkennbarer Diskrimierungen oder mit einem durch die Regelungen voraussichtlich einhergehenden Präventionseffekt rechtfertigen lassen. Wir sehen das kritisch, weil es auch dem grundsätzlichen Ziel der Kommission, Bürokratie abzubauen zuwider läuft, behalten uns gleichwohl eine abschließende Bewertung nach einer Evaluierung der Praxisfolgen der Regelungen im deutschen Recht vor.