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Keine Impfung, kein Job: Kann mein Arbeitgeber mich zum Impfen zwingen?

Während die Impfkampagnen langsam, aber sicher in ganz Deutschland ausgerollt werden, scheint die Rückkehr zur Normalität im Büro in greifbare Nähe zu rücken. Doch nicht jeder ist mit der Wirksamkeit oder Notwendigkeit des neuen Impfstoffs einverstanden. Außerdem sind die Beweise, ob der Impfstoff die Ausbreitung des Virus stoppt, zwar positiv, aber noch begrenzt und befinden sich in der Entwicklung. Bei all der Ungewissheit ist es nicht verwunderlich, dass einige Menschen sich nicht zum Impfen zwingen lassen wollen.

Dann gibt es noch die Diskussion über die Rückkehr an den Arbeitsplatz für Mitarbeiter nach der Impfung. Aber was ist, wenn jemand sich nicht impfen lassen will? Können Betroffene dann gekündigt werden?

Es gibt sowohl eine einfache Antwort als auch eine differenziertere Diskussion in dieser Hinsicht.

Die einfache Antwort: Nach geltendem Arbeitsrecht können Mitarbeiter nicht ohne rechtliche Grundlage zu einer COVID-19-Impfung gezwungen werden.

Es gibt jedoch einige andere Möglichkeiten, wie Mitarbeiter indirekt zum Impfen gezwungen oder motiviert werden können, ohne dass sie eine Alternative haben.

Unter welchen Umständen ist eine Impfstoffverweigerung legitim?

Angenommen, ein Arbeitgeber will seine Angestellten zum Impfen zwingen. Gibt es bestimmte Gründe, aus denen Betroffene dann die Impfung verweigern können? Die Antwort lautet grundsätzlich ja. Die Gründe können sich allerdings durch Updates der medizinischen Forschung ändern. Aktuell gilt Folgendes:

Alter: Von den in Deutschland zugelassenen Impfstoffen ist der BioNTech-Impfstoff derzeit nicht für Personen unter 16 Jahren getestet und zugelassen. Dagegen sind die Impfstoffe von Moderna nicht für Menschen unter 18 Jahren und AstraZeneca regional nicht für Personen unter 60 Jahren zugelassen.

Behinderung/Gesundheitszustand: Bei Personen, die eine allergische Reaktion auf einen der Inhaltsstoffe hatten, darf der Impfstoff nicht angewendet werden. Sie müssen sich deshalb also nicht vom Arbeitgeber zum Impfen zwingen lassen.

Datenschutz/Privatsphäre: Wenn der Arbeitgeber nicht über die entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen verfügt, um die Gesundheitsdaten der Mitarbeiter zu erheben, darf er wahrscheinlich keine Impfbestätigung verlangen. Nach dem Bundesdatenschutzgesetz (§ 26 Abs. 3 BDSG) und der EU-Datenschutz-Grundverordnung (Art. 9 Abs. 2 GPDR) ist es außerdem unwahrscheinlich, dass er diese Daten aufzeichnen darf.

Geschlechterdiskriminierung: Coronavirus-Impfstoffe sind nicht für die Anwendung bei Schwangeren zugelassen, daher wäre ein Auftrag diskriminierend.

Kann ich bei Impfverweigerung entlassen werden?

Unter diesen Vorbehalten gibt es bestimmte Arbeitsplätze, vor allem im Gesundheitswesen, an denen Arbeitgeber ihre Mitarbeiter indirekt zum Impfen zwingen könnten. Dazu zählen z. B. Tätigkeiten in Arztpraxen, Pflegeheimen und Krankenhäusern. Da Angestellte in diesem Bereich häufig mit Menschen mit schlechtem Gesundheitszustand in Kontakt kommen, stellen ungeimpfte Mitarbeiter ein Risiko für die Patienten dar. Dies gilt vor allem dann, wenn der Impfstoff nachweislich die Wahrscheinlichkeit der Verbreitung des Virus stark senkt. Betroffene Mitarbeiter könnten daher bei Verweigerung zu Recht entlassen werden.

Ist der Impfstoff hingegen nur für den Geimpften von Vorteil und verhindert lediglich, dass der Arbeitnehmer Krankentage in Anspruch nimmt, darf keine personenbedingte Kündigung erfolgen. Mitarbeiter, die sich nicht vom Arbeitgeber zum Impfen zwingen lassen wollen, sollten sich vor solchen Kündigungsdrohungen wegen der Verweigerung der Impfung in Acht nehmen. In diesem Fall sollten Sie eventuell einen Anwalt konsultieren, um zu prüfen, ob hier eine ungerechtfertigte Entlassung vorliegt. 

Darf mich der Staat zum Impfen zwingen?

Die Möglichkeit eines Impfstoffmandats wurde von der Regierung während der gesamten Pandemie immer wieder bestritten. Darüber hinaus kann ein Impfstoffmandat als Verletzung von Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretiert werden. Dieser schützt das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Mehrere Fälle von medizinischer Zwangsbehandlung oder medizinischen Zwangseingriffen sind unter diese Kategorie gefallen. Warum sollten die Menschen besorgt sein, obwohl die Regierung keine Zwangsimpfungen beabsichtigt?

In den 1800-er Jahren waren Impfungen gegen Pocken staatlich vorgeschrieben, aber die Zwangsimpfungen wurden 1961 eingestellt. Seitdem hat eine Verschiebung hin zu freiwilligen Impfungen die hohe Qualität der öffentlichen Gesundheit in Deutschland beflügelt. Diese beruhen auf medizinischen Empfehlungen. Ein aktueller Präzedenzfall lässt jedoch Raum für Spekulationen, ob das Versprechen „kein Impfzwang“ eingehalten werden kann.

Das Masernschutzgesetz wurde im November 2019 verabschiedet und trat im März 2020 in Kraft. Das war zufällig genau zu dem Zeitpunkt, als die Coronavirus-Pandemie die Welt im Sturm eroberte. Das Gesetz schreibt die Impfung gegen Masern (MMR-Impfung) vor, bevor Kinder im Alter von mindestens einem Jahr in Schulen, Kindertagesstätten oder anderen Gemeinschaftseinrichtungen aufgenommen werden können. Das Gesetz erstreckt sich auch auf Personen, die in Kinderbetreuungs- bzw. Bildungsbereichen oder medizinischen Einrichtungen arbeiten. Dies kann zwar als Impfpflicht interpretiert werden, geschieht aber indirekt, da der Schulbesuch selbst in Deutschland Pflicht ist. Es ist also nicht die Impfung, die gesetzlich vorgeschrieben ist, sondern sie ist eine notwendige Maßnahme, um die Schulpflicht zu erfüllen.

Die MMR-Impfung kann als Notwendigkeit zum Schutz von Kindern gesehen werden, aber auch von deren Betreuern und immungeschwächten Personen, die den Impfstoff nicht einnehmen können. Dagegen sind die von COVID-19 betroffenen Risikogruppen vor allem ältere Bevölkerungsschichten.

Die entscheidende Frage für die Möglichkeit eines staatlichen Mandats lautet: Überwiegt die Notwendigkeit der Impfung der Bevölkerung zum Schutz der öffentlichen Gesundheit die individuelle Freiheit? Dieses Argument wurde für die jüngsten Gesetze im Zusammenhang mit dem Coronavirus verwendet, z. B. Maskenpflicht, Schließung bestimmter Geschäfte und Einschränkungen bei sozialen Zusammenkünften. Obwohl wir dies für sehr unwahrscheinlich halten, müsste das Infektionsschutzgesetz zunächst geändert werden, falls das Gesundheitsministerium nach der notwendigen Debatte zu dem Schluss kommt, dass dies der Fall ist.

Sicherheit aller und Rechte des Einzelnen – wie gelingt die Balance?

Auch ein Jahr nach Beginn der Coronavirus-Krise arbeitet die medizinische Fachwelt weiter an der Erforschung und Gewinnung neuer Erkenntnisse über das neuartige Virus. Es besteht die Hoffnung, dass allein aufgrund der medizinischen Notwendigkeit und der erwiesenen Sicherheit des Verfahrens sich genügend Menschen impfen lassen. Dafür sprechen die erwiesene Wirksamkeit des Impfstoffs und die Notwendigkeit, sich an der Immunisierung freiwillig zu beteiligen und nicht durch ein gesetzliches Mandat. Obwohl ein Unternehmen einen Mitarbeiter nicht rechtlich zum Impfen zwingen kann, besteht die Möglichkeit, dass der Arbeitnehmer eine „Angst vor dem Verpassen“ bestimmter Aspekte der Arbeit entwickelt. Solche Befürchtungen können z. B. sein, nicht ins Büro kommen, an Firmenveranstaltungen teilnehmen oder eine Geschäftsreise antreten zu dürfen. In Bezug auf das erste Beispiel kann der Arbeitgeber sicherlich Gespräche mit den betroffenen Arbeitnehmern über eine Änderung des vertraglichen Standorts ihres Arbeitsplatzes führen (von der Home-Office-Zulage bis zu einem Raum im Büro, der wenig Kontakt mit anderen erlaubt). Dies ist jedoch eine weitere indirekte Möglichkeit, einen Mitarbeiter im Wesentlichen zum Impfen zu zwingen, was zu einer niedrigen Arbeitsmoral, Unzufriedenheit mit dem Management oder Klagen wegen Diskriminierung am Arbeitsplatz führen kann.

Anstelle von Vorschriften können Arbeitgeber die Impfung durch die Bereitstellung von Aufklärungsmaterial, einen leichteren Zugang zur Impfung über den Betriebsarzt, das Angebot von „Impfprämien“ oder andere Vorteile fördern. Letztendlich ist eine offene und ehrliche Kommunikation über Unternehmensentscheidungen und -richtlinien mit allen Mitarbeitern und dem Betriebsrat vorzuziehen, anstatt als letztes Mittel eine Vorschrift zu erlassen.  Sicherlich zieht es jeder vor, seine eigenen Entscheidungen zu treffen, anstatt sich gegen seinen Willen zum Impfen zwingen zu lassen.